Wolfgang Nieschalk
        "Wer handelt, kann Fehler machen. Wer nicht handelt, hat bereits einen Fehler gemacht."

Wann ist man eigentlich im besten Alter?

Meine Befürchtung, der Grillabend würde wegen der brütenden Hitze träge verlaufen, schien einzutreffen. Doch als sich plötzlich die Gespräche um die üblichen "Altersbeschwerden" drehten, nahmen die Gespräche an Fahrt auf. Aber erst, als jemand bemerkte, die klagende Mehrheit hätte wohl die besten Jahre schon hinter sich, kamen die Diskussionen richtig auf Touren.

Plötzlich hatten alle was beizusteuern und Otto bewährte sich wieder einmal als Wortführer. Nur die jüngeren Leute schwiegen und lachten sich ins Fäustchen, weil sie wussten, dass sie - auf dem Höhepunkt ihrer Kraft und ihres Aussehens - im besten Alter waren. 

Vordergründig stimmt das auch. Schließlich ist die Gesundheit zwischen 15 und 30 Jahren am besten. Das Körpergewicht ist ideal, wenn in der Vergangenheit nicht zu viel Pommes verdrückt wurden und wenn das zutrifft, ist auch das Aussehen blendend. "Doch es kommt nicht nur auf die körperliche Verfassung an", warf ein mit mir befreundeter Lehrer mit Blick auf die jungen Leute ein. "Die beste Zeit des Lebens ist, wenn man aus Erfahrung klug geworden ist, und das ist eben nicht die Zeit bis zum Anfang der Dreißiger. Man kann in jungen Jahren zwar müheloser lernen als später. Doch die Fähigkeit, das erworbene Wissen wirklich nutzbringend auszuwerten und die richtigen Schlüsse aus dem Gelernten zu ziehen, kommt erst mit dem Alter."

Erika meinte, "die besten Jahre sind die, in der eine Frau ohne Furcht in den Spiegel schauen kann." Otto hielt dagegen: "Das ist Unsinn. Gesichter, glatt wie ein Kinderpopo sind uninteressant. Ein Gesicht muss Charakter haben und Lachfältchen zusätzlich - je mehr umso besser. Und 25 oder 30 möchte ich auch nicht mehr sein mit all den Nachteilen, die uns die erste Lebenshälfte aufbürdet. Denkt mal zurück an den Stress des beruflichen Aufstiegs, die Familiengründung, die Kinder, die uns Nacht für Nacht den Schlaf raubten, indem sie sich in unseren Betten breitmachten und uns zwangen, nur noch S-förmig zu schlafen. Und Geld musste auch noch verdient werden um die vielen Verpflichtungen zu erfüllen. Denkt was ihr wollt. Für mich sind rückblickend die besten Jahre die des Ruhestands."

"Die besten Jahre könnten auch irgendwo in der Mitte des Lebens liegen," meldete sich Margret zu Wort. "Irgendwo in der Nähe der Fünfziger. Dann verdient man am meisten und hat dennoch schon Zeit für die kreativen Dinge, die früher immer zu kurz kamen. Die Persönlichkeit ist gereift, der Mensch ist ruhiger geworden und viele überprüfen ihr Leben dann, was man ist und was man eigentlich hätte werden wollen. Für manchen ist das wahrscheinlich ein schmerzlicher Augenblick der Wahrheit. Aber hat man sich mit den Tatsachen abgefunden, trennt man für den Rest des Daseins die Spreu vom Weizen, genießt die verbleibende Zeit und regt sich nicht mehr über Kleinigkeiten auf."

"Irgendwie haben alle recht" ging mir beim Wenden der Grillwürstchen durch den Kopf. "Jede Zeit des Lebens kann die Beste sein. Eine sorglos verbrachte Kindheit, die Zeit der Verliebtheit und der Elternschaft genauso wie die Höhepunkte des beruflichen Erfolges oder auch des wohlverdienten Ruhestandes. Oft stellen sich die besten Jahre sogar dann ein, wenn man am wenigsten damit rechnet. Vielleicht sind es sogar die, in denen man erkennt, dass man allein die Verantwortung für seine Probleme trägt und sie nicht seiner Mutter, seiner Umgebung, der Gesellschaft oder der Regierung in die Schuhe schieben kann. Die Jahre, in denen man begreift, dass man sein Schicksal selbst in der Hand hat." 

 
 
 
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